Die Marktmacht der öffentlichen Hand stärker nutzen – Einschätzungen zu Verankerung von Nachhaltigkeitsaspekten bei Vergabeverfahren

RA André Siedenberg Fachanwalt für Vergaberecht

Lieber Herr Siedenberg, bei ihrem privatem Einkauf achten viele Menschen mittlerweile darauf unter welchen Bedingen ein Produkt hergestellt wurde oder welche Auswirkungen es auf die Umwelt hat. Auch die Bundesregierung ermutigt die Verbraucher*innen durch die Kampagne “weniger ist mehr” oder das Kompetenzzentrum nachhaltiger Konsum zu einem bewussterem Einkauf. Warum waren diese Aspekte beim Einkauf der öffentlichen Hand lange kein Thema?

Das Vergaberecht und damit das Recht wie die öffentliche Hand einzukaufen hat, hat lange ein Nischendasein gefristet. Es wurde allein als Teilbereich des Haushaltsrechts und damit als Mittel der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung gesehen. Strategische Aspekte, insbesondere solche der Nachhaltigkeit, wurden häufig als “vergabefremd” abgetan. Erst mit dem Bewusstsein um die enorme wirtschaftliche Macht, welche die öffentliche Hand als Einkäufer am Markt hat, sind auch andere als die monetären Ziele in den Fokus des Gesetzgebers und der öffentlichen Auftraggeber*innen gerückt. Immerhin beschafft die öffentliche Hand in Deutschland jährlich Güter und Dienstleistungen von 350 – 460 Milliarden Euro, das ist ein nicht zu unterschätzender Hebel.

Das stimmt wohl. Und wie schlägt sich diese veränderte Bewusstsein nun im Vergabegesetz nieder?

Neben dem Wandel auf der Seite der gesetzlichen Vorgaben, der insbesondere der Vergaberechtsreform des Jahres 2014/2016 zu verdanken ist, haben wir es aus meiner Sicht vor allem mit einem gesamtgesellschaftlichen Wandel zu tun, der auch in die öffentliche Beschaffung ausstrahlt: Wurde der öffentliche Einkauf als Mittel zur Förderung von sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitsaspekten lange Zeit bestenfalls belächelt oder als Klamauk betrachtet, ist hier ein Bewusstseinswandel festzustellen, welcher Vergabeprozesse als Hebel zur Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen begreift. Damit einher geht das Selbstverständnis der Beschaffer*innen, dass die aus dem immensen Beschaffungsvolumen resultierende Marktmachacht auch mit einer gesellschaftlichen Verantwortung einher geht.

Bei der Debatte in Sachsen wird dabei allerdings oft von den von Ihnen bereits erwähnten vergabefremden Kriterien gesprochen, die einen unlauteren Eingriff in den freien Markt darstellen. Damit sind meistens auch ökologische oder soziale Kriterien – wie etwas der Energieverbrauch eines Produktes oder die Einhaltung internationaler Arbeitsrechte bei der Herstellung des Produktes – gemeint. Was versteht das Vergaberecht unter vergabefremden Kriterien und warum sind Nachhaltigkeitsaspekte damit nicht gemeint?

Tatsächlich findet sich der Begriff der “vergabefremden Kriterien” gar nicht im Gesetz. Gemeint ist wohl, dass ökologische und soziale Aspekte sich nicht zwingend oder unmittelbar auf die Qualität eines Produktes auswirken und daher im Vergabeverfahren unberücksichtigt bleiben müssten. Ein kurzer Blick in § 97 Abs.3 GWB zeigt jedoch, dass das Gegenteil der Fall ist: Ausdrücklich können nach dieser Norm auch soziale und ökologische Aspekte in den Vergabeprozess einbezogen werden. Im übrigen greift die Vorstellung “vergabefremder Aspekte” auch viel zu kurz. Denn ein energiesparendes Produkt kann natürlich im Anschaffungspreis teurer sein, als ein vergleichbares weniger ökologisches Produkt und sich über den geringeren Stromverbrauch während der Nutzungszeit trotzdem als wirtschaftlicher erweisen. Es ist ein Irrglaube, dass Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit sich zwingend ausschließen. Vielmehr lässt sich in vielen Fällen konstatieren, dass eine mangelnde Berücksichtigung von Aspekten der Nachhaltigkeit uns auf mittlere oder lange Sicht teurer zu stehen kommt.

Eine weitere Sorge ist der Bieterverdruss, weil die Firmen die vielen Gütesiegel und Nachweise gar nicht erbringen können oder die Angst vor Kostensteigerungen für die Vergabestellen. Welche Erfahrungen haben andere öffentliche Auftraggeber bereits gemacht, von denen Sachsen lernen kann?

Tatsächlich ist festzustellen, dass die öffentlichen Beschaffungsprozesse von vielen (gerade mittelständischen) Bieter*innen als umständlich und aufwändig wahrgenommen werden. Dies führt wiederum zu weniger Angeboten und damit schlechteren Preisen. Dies hat aber nichts mit der Nachhaltigkeit zu tun. Wenn ein Unternehmen zur Beteiligung an einem Vergabeverfahren 100 Seiten ausfüllen muss, machen zwei Blätter zum Thema soziale Nachhaltigkeit auch keinen Unterschied. Die grundsätzliche Frage vor der alle öffentlichen Auftraggeber*innen stehen ist vielmehr: Wie können wir die Beschaffungsprozesse so schlank gestalten, dass die Bieter*innen gerade nicht 100 Seiten ausfüllen müssen. Hier bedarf es strategischer Überlegungen, einer soliden Markterkundung, aber auch eines offenen Ohres für alle Verfahrensbeteiligten. Die Erfahrung zeigt, dass Bieter*innen die sich auf diese Art und Weise ernst genommen fühlen gerne bereit sind, den Aufwand eines Vergabeverfahrens auf sich zu nehmen.

Also wie könnte das sächsische Vergabegesetz demnach ausgestaltet werden, damit die Landesbehörden, Kommunen und kommunalen Unternehmen Nachhaltigkeitskriterien rechtssicher und effizient in ihr Vergabeverfahren integrieren?

Für die reine Möglichkeit Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen sind die geltenden Gesetze vollkommen ausreichend ausgestattet. Das gesetzliche “Können” haben wir also bereits. Schwieriger ist es, auch das “Wollen” bei den öffentlichen Auftraggeber*innen zu verankern. Dies erfordert aus meiner Sicht zwei Dinge: Ein klares Bekenntnis des (Landes-)gesetzgebers, dass soziale und ökologische Aspekte zumindest in aller Regel berücksichtigt werden sollen. Dann muss nämlich begründet werden, warum Nachhaltigkeitsaspekte in Ausnahmefällen nicht Berücksichtigt werden. Zum anderen ist eine konsequente Unterstützung von Beschaffer*innen durch fachkundige Expert*innen nötig, die bei der rechtssicheren Verankerung von Nachhaltigkeitsaspekten beraten. Denn viele Vergaben sind so komplex und die Nachhalitgkeitsanforderungen ja nach Beschaffungsgegenstand so unterschiedlich, dass Vergabestellen dies meist nicht alleine leisten können. Im übrigen steht es dem Landesgesetzgeber frei, mit gutem Beispiel voran zu gehen und für die Landesverwaltung verbindliche Leitlinien zu verabschieden.

Dank für diese Einschätzung Herr Siedenberg.