Erst einmal ganz allgemein: Welche Bedeutung hat die öffentliche Vergabe für den deutschen und internationalen Markt? Von welchen Größenordnungen sprechen wir beim Einkauf der öffentlichen Hand?
Die öffentliche Hand kauft jährlich Produkte und Dienstleistungen im Wert von ca. 470 Mrd. Euro ein. Das entspricht etwa 15 % des jährlichen Bruttoinlandsproduktes. Die Bandbreite der zu beschaffenden Produkte reicht von Büromöbeln und IT über Lebensmittel und Textilien bis hin zu großen Bauprojekten. Das Einkaufsverhalten der öffentlichen Hand wirkt dadurch in annähernd alle Bereiche des Marktes erheblich hinein.
Warum ist es wichtig, dass ökologische und menschenrechtliche Kriterien beim Einkauf der öffentlichen Hand berücksichtigt werden?
Wie gesagt, auf Grund des großen Beschaffungsvolumens haben die rund 30.000 Beschaffungsstellen von Bund, Ländern und Kommunen einen enormen finanziellen Hebel, um die dringend benötigte sozial-ökologische Transformation unseres Wirtschaftssystems voranzubringen. Kauft die öffentliche Hand beispielsweise bewusst umweltfreundliche Waren, Dienst – oder Bauleistungen, trägt sie indirekt zur Eindämmung des Klimawandels bei. Ökologische Kaufentscheidungen, vor allem bei diesem Vergabevolumen, fördern außerdem die schnellere Umstellung auf eine nachhaltigere gesamtwirtschaftliche Produktion. Dasselbe gilt für die Stärkung von Menschen- und Arbeitsrechten in Produktions- und Lieferketten. Beispielsweise kann der Staat durch sein Einkaufsverhalten sozialverantwortliches Unternehmertum stärken und damit Marktteilnehmer vor einem Preiskrieg auf Kosten von sozialen und ökologischen Standards schützen. Damit würde endlich die Abwärtsspirale durch ausbeuterische Arbeit gestoppt.
Abgesehen von den globalen Aspekten, welche weiteren Vorteile hat eine nachhaltigere Vergabe für die Vergabestellen?
Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigen: Nachhaltige und sozialverantwortliche Beschaffung kann helfen die Vergabe lösungsorientierter und effizienter zu gestalten – und dies bei gleichbleibenden oder nur sehr geringen Kostensteigerungen. Zusätzlich kann wirklich nach Leistung ausgewählt werden und nicht nach dem niedrigsten Preis. Oft können sogar höherwertige Produkte beschafft werden.
Sie haben die Angst vor Kostensteigerungen schon angesprochen. Eine Vorgabe für die öffentliche Hand ist der wirtschaftliche und sparsame Umgang mit Steuergeldern. Welche Erfahrungen haben Vergabestellen gemacht, wenn sie bei ihrem Einkauf ökologische oder menschenrechtliche Kriterien berücksichtigen?
Diese Sorge über Kostensteigerungen vieler Beschaffungsstellen ist verständlich, allerdings ist eine allgemeine Annahme, dass nachhaltiger automatisch teurer ist nicht haltbar. Aus unseren Erfahrungen kommt es nicht zu signifikanten Kostensteigerungen, eher das Gegenteil ist der Fall. Gerade durch die Berücksichtigung von ökologischen Aspekten, wie bspw. die Energieeffizienz und Langlebigkeit von Produkten, können zwar höhere Anschaffungskosten entstehen. Aber durch die längere und energiesparende Nutzung entstehen der Verwaltung über einen längeren Zeitraum gesehen eher weniger Kosten. Neben der Kosteneinsparung durch energieeffizientere Produkte haben Pilotprojekte zur fairen Beschaffung von Dienst- und Schutzkleidung und zu Arbeitsschutzschuhen gezeigt, dass Produkte im mittleren Preissegment mit einem guten Preis-Qualitäts-Verhältnis von Unternehmen mit verhältnismäßig guten Nachhaltigkeitsstandards produziert werden. In einer Ausschreibung für Berufskleidung im Grünflächenamt Bonn lagen die Mehrkosten, die durch die Einbeziehung von Sozialstandards verursacht wurden, bei 3 %. Auch in Bremen, einem notorischen Haushaltsnotlageland, konnte nach der Einführung sozialer und ökologischer Kriterien keine signifikante Kostensteigerung nachgewiesen werden. Ebenso bei größeren Ausschreibungen von IT-Geräten, bei welchen die Einhaltung von Menschenrechten entlang der Lieferkette gefordert waren. Auch hier waren keine signifikant höheren Kosten zu beobachten. Die Regel „nachhaltig gleich teuer“ gilt also ebenso wenig wie „teuer gleich nachhaltig“!
Interessant! Neben den Beispielen aus Bonn und Bremen, welche Bundesländer oder einzelne Städte sind noch Vorreiter bei der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien bei ihrem Einkauf? Und wie war da der Weg?
Es gibt nicht einen goldenen Weg für die Einführung nachhaltiger Beschaffung. Aber es lässt sich festhalten, dass die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen bundesweit ein maßgelblicher Treiber für der stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien bei der Vergabe ist. Bei Modell-Beschaffungen mit Berücksichtigung sozialer Kriterien in Dortmund, Berlin, Bonn oder Köln wurden die Behörden durch zivilgesellschaftliche Akteure begleitet. Aber nicht nur größere Städte können vermehrt öko-soziale Aspekte in der Beschaffung berücksichtigen. In kleineren Kommunen wie Neumarkt in der Oberpfalz oder Bad Boll gelingt dies ebenfalls vorbildlich und oft in Zusammenarbeit mit lokalen Engagierten.
Auch in den restlichen Bundesländern sind starke landesweite Bündnisse für Fortschritte in der Vergabepraxis ausschlaggebend: In Bremen bspw. arbeitet seit mehr als 10 Jahren die Verwaltung eng mit dem Bremer Entwicklungspolitischen Netzwerk zusammen. Dort gibt es neben klaren Vorgaben im Vergabegesetz seit einigen Jahren auch eine Kompetenzstelle für sozialverantwortliche Beschaffung. In Schleswig-Holstein konnte das Engagements des Bündnis Eine Welt SH zwar die Streichung verpflichtender Vorgaben zu Nachhaltigkeit im Vergabegesetz nicht verhindern. Die Landesregierung konnte aber doch noch davon überzeugt werden, der Forderung nachzukommen, eine Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung und Vergabe zu finanzieren. In Berlin wurde ebenfalls in den letzten Jahren neben stärkeren Vorgaben im Vergabegesetz, sowohl eine Kompetenzstelle für Nachhaltige Beschaffung aufgebaut, als auch Pilotprojekte wie die Berücksichtigung von Kriterien des Fairen Handels bspw. bei Ausschreibungen zur Schulverpflegung oder Sportbällen umgesetzt.
Und all diese Beispiele zeigen, dass Vergaben unter Berücksichtigung von ökologischen und sozialen Aspekten nicht nur machbar sind, sondern im Dialog mit Unternehmen, Beschaffungsstellen und Zivilgesellschaft praxisorientiert zur Verbesserung der Produktionsbedingungen und zur Erwerbung eines qualitativ besseren Produktes beitragen.
Und was denken Sie kann Sachsen von diesen Bundesländern und ihren Erfahrungen lernen?
Die Erfahrungen aus den anderen Bundesländern zeigen, dass drei Bereiche zentral sind: Einerseits bedarf es einer klaren und ambitionierten gesetzlichen Regelung, welche die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekte nicht nur fordert, sondern diese auch mit Zielen und Vorgaben untermauert. Neben den rechtlichen Voraussetzungen ist aber auch eine intensive Begleitung bei der Umstellung von Beschaffungsprozessen entscheidend. Aus anderen Bundesländern wissen wir, dass die Einrichtung einer Kompetenzstelle zur Bündelung von Fachwissen und zur Koordination von Fortbildungen und Informationsflüssen führt. Es ist wichtig, das Beschaffungsverantwortliche wissen wo sie sich kostenfrei Beratung und Unterstützung holen können. So sparen sie sich wertvolle und oft knapp bemessene Arbeitszeit und die Ausschreibung läuft reibungslos. Letztlich haben sich Pilotauschreibungen als sehr hilfreich erwiesen. So können Vorbehalte in den Vergabestellen abgebaut werden. Die Verwaltungsmitarbeitende sehen dann, dass nachhaltige Produkte rechtssicher, ohne große Kostensteigerungen und zur selben oder oftmals höheren Qualität beschafft werden können. Immerhin haben viele Kolleginnen und Kollegen Lust auf das Thema, sie wissen nur nicht genau, wie sie es angehen sollen.
Danke für das Gespräch.