Fragen zur Beschaffung in Sachsen
Der Freistaat Sachsen – also die Landesbehörden, Landkreise, Kommunen und kommunalen Unternehmen – kauft jährlich für mehrere Milliarden Euro Produkte, Dienst- und Bauleistungen ein. Laut dem aktuellen Vergabebericht der sächsischen Staatsregierung> hat die öffentliche Hand in Sachsen in den Jahren 2019/2020 Bau-, Liefer- und Dienstleistungen mit einem Gesamtvolumen von weiter über 1,5 Milliarden Euro vergeben. Dabei sind jedoch Vergaben der Kommunen und Beschaffungen mit einem Auftragswert oberhalb der EU-Schwellenwerte ausgenommen. Somit kann von einem deutlich höheren Vergabevolumen ausgegangen werden.
Welche gesetzlichen Regelungen für eine Ausschreibungen Anwendung finden, wird durch die Höhe des zu vergebenden Auftrags bestimmt.
Erreichen oder überschreiten die Schätzkosten einer Vergabe den geltenden EU-Schwellenwert von 215.000 Euro für Liefer- und Dienstleistungen bzw. 5.380.000 Euro für Bauaufträge, muss die Leistung europaweit ausgeschrieben werden. Dann gelten die EU Richtlinie 2014/24 > und das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung >.
Liegt die Auftragswertschätzung unter dem EU-Schwellenwert wird die Ausschreibung national vergeben. Dann greift das Sächsische Vergabegesetz >. Es wurde am 13. Januar 2013 verabschiedet und ist seit dem 14. März 2013 in Kraft.
Im Mittelpunkt des sächsischen Vergabegesetzes steht das ‚wirtschaftlichste Angebot‘. In § 5 (1) 2 heißt es: „Der Zuschlag ist auf das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Der niedrigste Angebotspreis allein ist nicht entscheidend.“ In der Praxis bedeutet dies allerdings dennoch, dass das billigste Angebot den Zuschlag erhält, denn abgesehen vom Preis (und der Qualität) werden selten weitere Kriterien berücksichtigt.
Möglichkeiten zur Berücksichtigung von ökologischen oder sozialen Aspekten – wie CO2-Emission und Energieverbrauch sowie Tariflöhne als auch die Einhaltung von internationalen Standards wie dem Verbot von ausbeuterischer Kinderarbeit – werden im Gesetzestext nicht erwähnt. Zwar obliegt es den Vergabestellen, diese Kriterien freiwillig zu berücksichtigen, aber auf Grund der unklaren Gesetzeslage und fehlender Unterstützung Seitens des Gesetzgebers durch Handreichungen, Leitfäden oder Beratungsangebote wird dies kaum gemacht.
Aktuelle Studien des Umweltbundesamtes > und der Arbeitsgemeinschaft der Eine Welt Landesnetzwerke> belegen: Sachsen ist bundesweit Schlusslicht beim Thema nachhaltige Beschaffung.
Beachtung Sozialer Kriterien:
Vergaberechtliche Regelungen zur Beachtung der acht ILO-Kernarbeitsnormen gibt es beispielsweise in zehn Bundesländern (Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen). Regelungen zu fair gehandelten Produkten gibt es aktuell in vier Bundesländern. In Hamburg sollen „vorrangig Produkte beschafft werden, die fair gehandelt wurden“, soweit dies wirtschaftlich vertretbar ist. Auch in Baden-Württemberg sollen „fair gehandelte Produkte bevorzugt werden“, wenn sie für den vorgesehenen Verwendungszweck gleichwertig geeignet sind. In Berlin werden die „Kriterien des fairen Handels“ als einer der „weitergehende[n] Gesichtspunkte“ genannt, die bei der Erbringung von Leistungen festgelegt werden können. Auch in Hessen wird die „Verwendung von fair gehandelten Produkten“ als eine von mehreren möglichen Anforderungen aufgelistet.
Beachtung ökologischer Kriterien:
Im Bezug auf ökologische Kriterien bei der Vergabe haben viele Bundesländer ihre gesetzlichen Regelungen bereits angepasst. In 12 Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein, Thüringen) finden sich verbindliche Vorschriften zur umweltfreundlichen Beschaffung im Vergaberecht. In den anderen drei Bundesländern (Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt) finden sich immerhin abstrakte Regelungen für die Berücksichtigung von Umweltkriterien in vergaberechtlichen Regelungen. Nur der Freistaat Sachsen erwähnt Umweltaspekte nicht in seinem Vergabegesetz.
Unterstützungsleistungen zur Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen:
Gesetzliche Regelungen alleine reichen nicht aus, um die Beschaffung in der Breite umzustellen. Vergabeexpertinnen und -experten sind sich einig, dass entsprechende Begleitmaßnahmen nötig sind, damit die Regelungen auch in der Praxis Anwendung finden.
In den drei Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin als auch Schleswig-Holstein gibt es eine staatliche Beratungsstelle für nachhaltige Beschaffung, an die sich die Vergabestellen kostenlos wenden können.
Die meisten Bundesländer bieten mittlerweile entsprechende Fortbildungsangebote zu nachhaltiger Beschaffung für ihre Mitarbeitenden an oder das Thema wurde in die Ausbildung zukünftiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter integriert. So startetet Baden-Württemberg 2018 eine „Schulungsoffensive“ zu nachhaltiger Beschaffung.
Darüber hinaus ist es wichtig, klare Zielvorgaben zu setzten und die Umstellung der Beschaffung regelmäßig zu überprüfen. Nordrhein-Westfalen legte 2021 feste Ziele und Indikatoren für eine nachhaltige Beschaffung fest.
Auch bei der Vernetzung relevanter Akteure sind andere Bundesländer weiter. In Schleswig-Holstein findet jährlich ein Vernetzungstreffen zu nachhaltiger Beschaffung statt, das vom Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung (MELUND), dem Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein, dem Bildungszentrum für Natur, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein (BENUR), RENN.nord und dem Kompetenzzentrum für nachhaltige Beschaffung und Vergabe (KNBV) gemeinsam vorbereitet wird.
Fragen zur Allianz
Die Allianz SACHSEN KAUFT FAIR ist ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis und strebt eine ökologisch und sozial verantwortliche Beschaffung der öffentlichen Hand, d. h. von Verwaltungen auf Landes- und auf kommunaler Ebene, von Kirchgemeinden und kirchlichen Einrichtungen ebenso wie öffentlichen Institutionen und staatlichen Unternehmen in Sachsen an.
Unter dem Begriff ökologische und soziale Beschaffung ist der Einkauf von Produkten und Dienstleistungen, der die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards beachtet, zu verstehen. Verwaltungen sollen soziale und ökologische Kriterien zur Grundlage der Vergabeentscheidung machen.
Bund, Länder und Kommunen (rund 30.000 Vergabestellen) vergeben jährlich öffentliche Aufträge von bis zu 500 Milliarden Euro – das sind ca. 13 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) der Bundesrepublik Deutschland. Sie sind dadurch Großkunden und somit von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Diese Marktmacht können öffentliche Auftraggeber nutzen, um sozial-verantwortliches Unternehmertum zu stärken und den Markt für nachhaltige Produkte zu fördern.
Zudem hat das Verwaltungshandeln der öffentlichen Hand Vorbildfunktion für die Privatwirtschaft und den Konsumenten. Kaufen der Staat oder die Kommune ökologische und menschenrechtlich sauber ein, dann können es andere auch!
Auf dem ‚Einkaufszettel’ von Bund, Ländern, Gemeinden und kommunalen Unternehmen stehen Dienstkleidung für Polizei und Feuerwehr, Pflastersteine für Marktplätze, der Bau von Schulen und Kitas oder Büromaterialien und IT-Ausstattung für die Verwaltung. Da die öffentliche Hand dafür Steuergelder ausgibt, fragen wir: Was wird eingekauft? Wo wird eingekauft? Zu welchem Preis und auf wessen Kosten?
Den Preis für den allzu häufig billigen Einkauf zahlen in der Regel andere. Eine vielzahl von Studien belegen, dass in internationalen Lieferketten regelmäßig gegen Arbeits- und Menschenrechte sowie Umweltauflagen verstoßen wird. Mit einem lediglich preisbezogenen Einkauf profitiert die öffentliche Hand von der Ausbeutung von Mensch und Umwelt – und legitimiert diese dadurch. Ein verantwortlicher Umgang mit Steuergeldern bei der Vergabe heißt für uns, dass der Freistaat ökologische und soziale Aspekte in seine Vergaben mit einbezieht. Andere Bundesländer machen dies ohne Probleme bereits vor.
Soziale Kriterien entsprechen der Einhaltung der:
Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) >
- Übereinkommen 1 – Wöchentliche Arbeitszeitbegrenzung auf 48 Stunden und max. 12 freiwillige Überstunden, 1919
- Übereinkommen 87 – Vereinigungsfreiheit und Schutz des Vereinigungsrechtes, 1948
- Übereinkommen 98 – Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektivverhandlungen, 1949
- Übereinkommen 29 – Verbot von Zwangsarbeit, 1930
- Übereinkommen 100 – Gleichheit des Entgelts, 1951
- Übereinkommen 105 – Verbot von Arbeit in Schuldknechtschaft, 1957
- Übereinkommen 111 – Verbot von Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf), 1958
- Übereinkommen 138 – Verbot der Beschäftigung von Kindern unter 15 Jahren, 1973
- Übereinkommen 155 – Bestmöglicher Arbeitsschutz, 1981
- Übereinkommen 182 – Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, 1999
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 23 >
- Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit.
- Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
- Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmaßnahmen – faire Entlohnung (Mindestlohn) / „Living Wage“ – existenzsichernder Lohn
- Jeder hat das Recht, zum Schutze seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten.
Und weiterhin:
- die Tarifbindung des Bieter-Unternehmens und beteiligter Subunternehmen
- Kriterien, die die Gleichstellung fördern
- Regelungen zu Leiharbeitsverhältnissen
Einen guten Überblick bietet auch folgende Tabelle der Kampagne für Saubere Kleidung>
Für sämtliche Produkte gibt es unterschiedlich zu berücksichtigende umweltbezogene Kriterien. Die Europäische Kommission hat für alle Produktgruppen mögliche Kriterien > aufgeführt.
Hier nur ein paar Beispiele:
- Steigerung der Energieeffizienz
- Nutzung von Ökostrom im Büro
- Einführung von Energie- und Umweltmanagementsystemen
- Berücksichtigung von Umweltzeichen beim Kauf eines Produkts
- Einkauf von ökologisch-fairen, regionalen und saisonalen Lebensmitteln
- Einkauf von Holz oder Holzteilen aus nachhaltig betriebener Forstwirtschaft (FSC-Siegel oder vergleichbares)
Darüber hinaus ist die Anwendung eines Lebenszykluskostenrechners wichtig. Denn häufig ist beim Einkauf von Waren und Dienstleistungen das preisgünstigste Angebot nicht auch das wirtschaftlichste, wenn Betriebs-, Entsorgungs- oder ökologische Folgekosten mit eingepreist werden.
Stattdessen verursachen preiswerte Produkte im Vergleich zu teureren Alternativen oft höhere Folgekosten. Diese ergeben sich beispielsweise aus dem Verbrauch an Hilfsstoffen oder Energie während der Nutzungsphase, den Installations- und Wartungskosten sowie den Kosten am Ende der Nutzungsdauer (insbesondere Abholungs-, Entsorgungs- und Recyclingkosten). Auch die Kosten, die durch externe Effekte der Umweltbelastung entstehen und mit der ausgeschriebenen Leistung während des Lebenszyklus in Verbindung stehen, gehören dazu. Die Lebenszykluskostenrechnung bezieht diese Faktoren bei der Berechnung der tatsächlichen Kosten für ein Produkt mit ein. Vor diesem Hintergrund kann diese Methode auch zur Förderung umweltfreundlicher Produkte genutzt werden und damit zu einer Entlastung der Umwelt beitragen.
Das Umweltbundesamt hat eine Liste mit Lebenszykluskostenrechnern > erstellt.