Interview mit Bettina Musiolek

Dr. Bettina Musiolek, Koordinatorin der internationalen Kampagne für Saubere Kleidung in der Region Ost-, Südosteuropa & Türkei

Liebe Dr. Musiolek, am 06.07.2022 veröffentlichte die Allianz Sachsen Kauft Fair Recherchen zu den Produktionsbedingungen in einer Textilfabrik der Firma SIOROM in Ost-Rumänien. Dies ist eine Tochterfirma des in Belgien ansässigen Textilherstellers SIOEN. Auch das sächsische Innenministerium hat bei SIOEN Dienstkleidung für die sächsische Polizei gekauft. Unsere Ergebnisse zeigen eklatante Verletzungen von internationalen Arbeitsstandards, wie die …. Haben Sie die Untersuchungsergebnisse überrascht?

Die Ergebnisse decken sich leider mit unseren langjährigen Erfahrungen aus der Feldforschung in Rumänien.

Zwischen 2018 und 2020 wurde knapp die Hälfte der vom sächsischen Innenministerium beschafften Schutz- und Dienstkleidung für Polizei und Justiz in Osteuropa hergestellt. Was ist das Label „Made in Europe“ wert, wenn es um die Einhaltung von internationalen Arbeitsrechten geht?

Armutslöhne, Diskriminierung und schlechter Arbeitsschutz sind endemisch, sowohl in der rumänischen als auch generell in der globalen Textilindustrie. In globalen Lieferketten ist es relativ egal, ob die Fabrik in Rumänien oder Sri Lanka steht – die Missstände sind strukturell die Selben. Das heißt „Made in Europe“ unterscheidet sich tendenziell nicht von „Made in Asia“. Wobei, eine wichtige Unterscheidung gibt es: Die Löhne in Europa sind noch weiter von den wirklichen Lebenshaltungskosten entfernt als in Asien. Denn die Milch kostet in Rumänien wesentlich mehr als in Sri Lanka – und übrigens auch mehr als in Deutschland.

 

Das sächsische Innenministerium verlangt aber doch ab einem bestimmten Einkaufswert Eigenerklärungen der Bieter, womit diese die Einhaltung bestimmter Arbeitsstandards, wie etwas den Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, bestätigen.

Eine Eigenerklärung verpflichtet zu nichts und es kontrolliert auch niemand ob sie eingehalten werden. Die Realität in den Fabriken hat wenig zu tun mit dem, was deutsche oder westeuropäische Firmen hier deklarieren. Fälle wie xyz haben gezeigt, dass beispielsweise die ILO Kernarbeitsnormen nicht eingehalten wurden, obwohl die Firmen Eigenerklärungen abgegeben hatten.

 

Bund, Länder und Kommunen beschaffen jährlich für fast 500 Milliarden Euro Waren und Dienstleistungen, unter anderem auch große Mengen an Berufsbekleidung und Textilien. Dies ist ein enormer Hebel, um die Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern zu verbessern und den Textilmarkt zu beeinflussen. Was wünschen Sie sich von dem Einkaufsverhalten der öffentlichen Hand im Textil-Bereich?

Die öffentliche Hand sollte als Käufer dasselbe tun, was bereits viele individuelle Verbraucherinnen und Verbraucher tun: Sie sollte in ihren Vergabeverhandlungen mit potentiellen Anbietern menschenrechtlich ‚saubere‘ Produkte einfordern.  Darüber hinaus sollte die öffentliche Hand verbindliche und klare gesetzliche Regeln für die menschenrechtliche Verantwortung der Textilfirmen entlang ihrer gesamten Lieferketten fordern. Zu dieser gesetzlichen Regelung gehört auch ein sächsisches Vergabegesetz, das diese menschenrechtliche Verantwortung für die öffentliche Auftragsvergabe festschreibt.