Nähen für einen Hungerlohn

Portrait von Maria aus Iași

Unerträgliche Hitze herrscht in der stickigen Fabrik. Rund 350 Mitarbeitende – größtenteils Frauen – produzieren hier im ost-rumänischen Iaşi, nahe der Moldawischen Grenze, Kleidung für den Textilriesen SIOEN. Das börsennotierte belgische Unternehmen hat sich auf die Produktion und den Handel von technischen Textilien und professioneller Schutzkleidung fokussiert. In Iaşi, mit seinen rund 300.000 Einwohnern, lässt der Konzern über seine Tochterfirma SIOROM für den globalen Markt produzieren. Der Weltmarktführer mit dem Slogan „Schutz durch Innovation“ steht seit Jahren wegen ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen in der Kritik, denn leider nimmt SIOEN den Schutz internationaler Arbeitsrechte nicht so ernst.

Man spürt die Anstrengung in der schwer zu atmenden Luft. Maria[1] arbeitet seit mehreren Jahren in der Fabrik als Näherin. Zusammen mit ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern lebt die Ende 30-jährige in einem 17 pm-großen Zimmer, da sie sich keine Wohnung leisten können. Seid ihr Mann auf Grund eines Arbeitsunfalls auf einer Baustelle in Westeuropa arbeitsunfähig ist, muss die 4-köpfige Familie allein von ihrem Gehalt über die Runden kommen.

Die Arbeitsbedingungen bei SIOROM machen Maria zu schaffen. Während sich die Fabrik wegen mangelnder Belüftung im Sommer wie ein Ofen aufheizt und Mitarbeiterinnen bereits ohnmächtig wurden, frieren die Frauen im Winter, da nicht überall geheizt wird. Zusätzlich werden die minimalsten Hygieneanforderungen, wie Seife und Toilettenpapier, nicht erfüllt. Lange Zeit war es den Frauen sowieso verboten während ihrer Schicht die Toilette aufzusuchen. Wegen fehlender Schutzmaßnahmen beim Umgang mit Chemikalien leiden manche Näherinnen an Atemwegs- und Hautkrankheiten. Obwohl von den Arbeiterinnen schon länger gefordert, wurden erst mit Ausbruch der Corona-Pandemie Atemschutzmasken und Handschuhen bereitgestellt, was die Atemwegserkrankungen und Hautausschläge minderte. Die Halle ist schmutzig und die Frauen wurden in der Vergangenheit angewiesen die Räume nach Ende ihrer Schicht unentgeltlich zu reinigen. Manche Aufseher haben die Frauen regelmäßig angeschrien und erniedrigt. Da es keine Gewerkschaft in der Fabrik gibt, fällt es den Frauen schwer kollektiv für bessere Bedingungen einzutreten. Nach mehreren Presseberichten und zwei Inspektionen hat sich die Situation laut Maria etwas verbessert.Doch Marias größte Sorge bleibt das geringe Gehalt. Trotz ihre Vollzeitstelle bleiben ihr von ihrem Grundgehalt gerade einmal 288 Euro (1.386 RON) netto im Monat übrig. Zusammen mit dem monatlichen Bonus für die teilweise Erreichung der Produktionsnorm und eventuellen Überstunden verdienen sie zwischen 304 und 331 Euro netto monatlich (1.501 – 1.636 RON). Dabei ist die Produktionsnorm so hoch angesetzte, dass Maria keine Kollegin kennt, die jemals die Quote erfüllt hätte.

Ich wollte die Fabrik verlassen, aber ich bin wegen der Pandemie geblieben. Nun habe ich gar keine Sicherheit mehr, da ich keine Nebenjobs mehr habe. Jetzt bleibt mir nur noch mein geringer Mindestlohn und ich weiß nicht wie lange ich so weiter machen kann.

Um ihre Familie wenigstens mit dem nötigsten versorgen zu können nimmt Maria so viel wie möglich Nebenjobs an. Vor der Pandemie ging sie mehrmals wöchentlich nach Feierabend Putzen und Kochen. Häufig war sie nicht vor 21 Uhr Zuhause und hatte so kaum Zeit für ihre eigene Familie. Da das Einkommen trotzdem nicht zum Leben reicht, schickt Marias Schwester ihr jede Woche selbst angebaute Lebensmittel zu. Doch selbst in „guten Monaten“, mit vielen Überstunden und Nebenjobs, kam Maria nur knapp über die nationale Armutsgrenze von 448 Euro.[2]

Durch die Pandemie hat sich Marias Situation weiter verschärft, da sie ihre Nebenjobs verloren hat. „Ic“ Nun muss Maria ihr Familie allein von dem geringen Lohn von SIOROM über die Runden bringen. Trotz ihres sehr sparsamen Lebensstils sagt Maria, dass sie mindestens 609 Euro (3.000 RON) pro Monat für sich und ihre Familie bräuchte. Doch egal wie viel sie arbeitet, am Ende des Monats hatte sie noch nie 600 Euro verdient.